Zimmer hat geschrieben:Annahme, daß Stellwerke nach Streckenruhe nicht besetzt. (Zuvor sicherstellen, daß Durchfahrzugstraßen eingestellt sind.) Züge mit Befehl (ggf. auch für etwaige BÜ) ablassen, auf dem nächsten, wieder besetzten, Bahnhof dann die Räumungsprüfung durchführen. Der Zugfolgeabstand wird dadurch – gerade im vorliegenden Fall – zwar extrem lang, aber 1 Zug je Richtung und Stunde müßte man so durchbekommen.
Oder sprechen hier zwischenzeitlich erschienene, neue Regelungen dagegen?
Naja, so einfach ist das leider nicht.
Wenn dem Fdl, der die Zugfahrt zuläßt, die Überwachung der befahrenen Weichen, der Weichen im Durchrutschweg und der Flankenschutzeinrichtungen fehlt, darf er nicht einfach Züge in den betreffenden Fahrweg einlassen. Jetzt hat ja sozusagen der Fdl der letzten besetzten Zugmeldestelle (Zmst) die Verantwortung der Fahrwegprüfung. Auf der unbesetzten Zmst ist in der Regel ein bestimmter Fahrweg eingestellt (im Betriebsstellenbuch, vormals Örtliche Richtlinien, vormals Bashnhofsbuch, sind diese Fahrwege verzeichnet). Trotzdem fehlt dem Fdl der besetzten Zmst die Überwachung der (richtigen) Endstellung der Weichen und Flankenschutzeinrichtungen, denn die wird ja nicht in seinem Stw, sondern in dem unbesetzten Stw angezeigt. Da er keine Überwachung der Endstellung der betreffenden Weichen und Flankenschutzeinrichtungen hat, wird er jetzt die Prüfung des Fahrweges auf den Lokführer abwälzen. Das bedingt natürlich eine gehörige Geschwindigkeitsbeschränkung (siehe weiter unten).
Der Ablauf ist folgendermaßen: Hat der Fdl der benachbarten Zmst seine Arbeit nicht aufgenommen, ist die Reihnenfolge der Züge mit dem Fdl der nächsten besetzten Zmst zu vereinbaren (Gegengleisfahrten sind dabei verboten). Zugmeldung machen jetzt also die Fdl der beiden besetzten Zmst miteinander.
Der Zug erhält Befehl 8 für alle BÜ, die vom Fdl der unbesetzten Zmst bedient oder überwacht werden (fernüberwachte BÜ mögen zwar funktionieren, die Überwachung durch den Fdl fehlt aber).
Außerdem erhält der Zug Befehl 14:
— vor dem Esig der unbesetzten Zmst anhalten
— Verbindung zum Fdl dieser Zmst aufnehmen
— kann der Fdl dieser Zmst nicht erreicht werden, dann Einf und Ausf bzw. Weiterf bei Abzw/Üst mit höchstens 5 km/h
— Haupt- und Sperrsig dieser Zmst gelten nicht
— Bksig, die dem Fdl dieser Zmst zugeteilt sind, gelten nicht
— falls mit besonderem Auftrag (also alles was nicht Fahrtstellung eines Hauptsig ist) Weichen von Anschlußstellen gegen die Spitze befahren werden, dann mit höchstens 50 km/h.
Die Räumungsprüfung führt der Fdl der nächsten besetzten Zug
folgestelle aus (evtl. unter Zuhilfenahme einer Zugvollständigkeitsmeldung durch den Tf für seinen Zug).
Bei unbesetzten Blockstellen erhält der Tf einfach einen Bef 14, daß das Bksig nicht gilt.
Diese Geschwindigkeitseinschränkungen auf unbesetzten Zmst kann man nur dadurch umgehen, daß die betreffenden Weichen durch Handverschlüsse (HV) gesichert werden. Die sind aber auch nicht unbedingt schon an allen betreffenden Weichen vorhanden, also muß da ggfs. erst noch ein Mitarbeiter hin und HV anbringen.
Wie umfangreich das bei Bundesbahns war, weiß ich nicht, aber dort gab es auch schon Weichen, die im Vorfeld mit HV ausgerüstet waren und dann nur noch verschlossen werden mußten.
Bei der DR gab es bei vielen Gleisbildstellwerken (= Relaisstellwerke) vor allem im Berliner Raum einen
Behelfsbetrieb. Dabei konnten bestimmte ferngestellte Weichen, die gestört waren, wieder signalabhängig gemacht werden, indem der vorhandene HV verschlossen und der Schlüssel in eine Schlüsselsperre in einem Schrank am Gleis eingeschlossen wurde.
Schon alleine diese Geschwindigkeitsbeschränkungen (es kommt noch eine weitere Geschwindigkeitsbeschränkung für den ersten Zug hinzu – siehe weiter unten) sind im Personenverkehr für so ein Verfahren ein Ausschlußkriterium. Es kommen aber noch weitere Probleme dazu. Denn die genannten Regeln wurden entworfen für Betriebsstellen mit
planmäßiger Dienstruhe, nicht für personelle Engpässe auf normalerweise durchgehend besetzten (oder eben ferngesteuerten bzw. -gestellten) Betriebsstellen. Bei planmäßig durchgehend besetzten Betriebsstellen ist in der Regel kein bestimmter Fahrweg eingestellt, es ist demnach im Betriebsstellenbuch auch nicht aufgeführt, welcher Fahrweg dort eingestellt ist. Außerdem fehlen im Betriebsstellenbuch die Angaben der jetzt dort ungültigen Signale, der gegen die Spitze befahrenen Weichen von Anschlußstellen sowie der BÜ, für die Bef 8 erteilt werden muß. Das muß also erst einmal alles geklärt werden. Das wird der zuständige Bezirksleiter tun, der dafür aber auch seine Zeit benötigt. Ist der BezL nicht anwesend, kann man nur hoffen, daß sein Vertreter sich auskennt …
Wie wir ja aber im aktuellen Fall wieder einmal sehen, wird eher nach der allgegenwärtigen BeBaZ-Methode gehandelt: Chaos veranstalten. Verwunderung. Hilflosigkeit. Wir müssen besser werden. Und wieder von vorne.
Die Verantwortlichen fahren eh nicht mit der Bahn, und zur Rechenschaft werden sie auch nicht gezogen. Es gab Zeiten, da wären die Verantwortlichen für die Praktiken, die hier heutzutage bei der Bahn an den Tag gelegt werden, wegen Sabotage nach Bautzen abgewandert …
Für den ersten von der Störung betroffenen Zug kommt seit Mitte Juli dieses Jahres noch eine weitere Gschwindigkeitsbeschränkung hinzu. Der Zug hat nämlich durch den Fdl angewiesen zu werden, auf Sicht zu fahren, und zwar in dem Zugfolgeabschnitt, in den er mit besonderen Auftrag (also alles was keine Fahrtstellung ist) eingelassen wird. Bedeutet in dem Falle: Die komplette Strecke zwischen den beiden besetzten Zmst. Im Juli erschien nämlich eine Weisung, die besagt, daß der Fdl bei Fahrt mit besonderem Auftrag – egal aus welchem Grund mit besonderen Auftrag gefahren wird – den ersten davon betroffenen Zug anzuweisen hat, auf Sicht zu fahren. Alle weiteren Züge müssen dann nicht mehr auf Sicht gefahren werden (jedenfalls nicht aus diesem Grund).
Eine Neuigkeit auf deutschen Schienen – gängige Praxis in der Schweiz (FDV R 300.9 2.2). Da kommt einem doch ein Lied der Prinzen in den Sinn …
Die oben genannten Regeln finden sich in 408.0501 (ausgenommen natürlich die Weisung vom Juli). Das sind aber alles keine Neuigkeiten: Bei Bundesbahns existierten diese Regeln bereits (nahezu wortgleich) im § 27 Abs 22.
Bei der DR war so ein Fall in der FV gar nicht bekannt. Hilsfzüge während Dienstruhe hat man mit Vorsichtsbefehl b) Grund 8 beauftragt, den betreffenden Streckenabschnitt
vorsichtig* mit höchstens 30 km/h zu befahren. Außerdem wurde das erste für den Zug gültige Hauptsignal im Vorsichtsbefehl genannt.
Wegübergänge, wie die BÜ bei der DR bis Ende 1992 genannt wurden (§ 3 Abs. 15), durften nur
vorsichtig mit höchstens Schrittgeschwindigkeit befahren werden. Die Lage der WÜ wurde dem Zugpersonal nicht besonders mitgeteilt (§ 78 Abs. 4).
Ab 1993 (Ber. 6) durften die Hilfz bei der DR dann auf der Strecke mit höchstens 50 km/h (Bef C Grund Nr. 10), durch Bf mit höchstens 40 km/h und auf Sicht fahren (Bef Cg); BÜ (dieselben wie oben bei
Bef 8 genannt) durften mit 10 km/h befahren werden, Achtungssignal war zu geben (Bef Cg). Dafür durften sie während Dienstruhe aber nur noch über solche Strecken zurückkehren, wenn die Rückkehr sonst wesentlich verzögert worden wäre. Vorbeifahrten an Hauptsignalen mit Bef Ab.
Die Regeln der DR ab 1993 (§ 78 Abs. 4–9) entsprachen exakt den Regeln der DB (§ 70).
*) Wenn bei der DR (bis Ende 1992) ein Zug beauftragt wurde, vorsichtig zu fahren, ging damit nicht zwangsläufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung einher. Der Tf mußte die Fahrgeschwindigkeit unter aufmerksamer Beobachtung der Strecke entsprechend den Sichtverhältnissen so regeln, daß der Zug vor einem Fahrthindernis möglichst (sic!) zum Halten kommt (§ 53 Abs. 4). Wenn also rechts und links weit und breit nur Acker war, konnte er durchaus auch
vorsichtig mit 100 km/h fahren. Mit dem Auftrag, vorsichtig zu fahren, durfte im Vorsichtsbefehl auch eine Geschwindigkeitsbeschränkung kombiniert werden.
Vorsichtig fahren ist nicht zu verwechseln mit dem
Fahren auf Sicht, das es auch damals schon bei der DR gab. Das Fahren auf Sicht wurde bei der DR aber nur angewendet, wenn die Verständigung zwischen zwei Zmst völlig gestört war (FV Anhang XIV). Dabei war die Fahrgeschwindigkeit so zu regeln, daß der Zug vor einem Fahrzeug (nicht Hindernis!) in seinem Fahrgleis zum Halten gebracht werden konnte. Dabei durften nicht überschritten werden:
— 50 km/h bei Tag und sichtigem Wetter
— 15 km/h bei Dunkelheit und sichtigem Wetter
— Schrittgeschwindigkeit bei unsichtigem Wetter
— Schrittgeschwindigkeit bei abgeblendetem Spitzenlicht.
Damit widerum ist nicht das
permissive Fahren zu verwechseln. Das permissive Fahren hatte die gleichen vier Geschwindigkeitsbeschränkungen wie das Fahren auf Sicht, wurde aber angewendet, sobald der Zug an einem durch rotes oder weiß-schwarz-weiß-schwarz-weißes Mastschild gekennzeichneten Halt zeigenden oder gestörten Hauptsignal vorbeigefahren ist. Außerdem war die Fahrgeschwindigkeit wieder so zu regeln, daß der Zug vor einem Fahrzeug in seinem Fahrgleis zum Halten gebracht werden konnte. Der Zug hatte bis zum nächsten Lichthauptsignal oder bis zur Permissivendtafel (Signal So 1) permissiv zu fahren.
Es gab bei der DR also
vorsichtig,
auf Sicht und
permissiv …
Am 1. Januar 1993 wurden die drei Verfahren bei der DR durch das uns bekannte Fahren auf Sicht, das es davor auch schon bei der DB gab, abgelöst.